Mein Vater wurde in Züllichau in der Mark-Brandenburg (heute Polen) geboren. Meine Mutter erblickte im Berliner Stadtteil Weißensee das Licht der Welt.
Die Jugend meiner Eltern wurde vom 2. Weltkrieg und seinen Folgen überschattet. Statt Kneipen, Bars und Clubs zu besuchen, gehörten Fliegeralarm, Luftschutzbunker und Arbeitsdienst zum Alltag. Mein Vater wurde unmittelbar nach Beendigung seiner Lehre zum Autoschlosser (wie es damals hieß) zur Wehrmacht einberufen und an die Front geschickt. Das Ende des Krieges erlebte er in amerikanischer Kriegsgefangenschaft.
Als meine Eltern sich bei der Arbeit kennen lernten, war meine Mutter verwitwet und hatte 3 Söhne. Im September 1958 kam ich dazu.
Wir wohnten in einer (heute würde man sagen: Kleingartenanlage) damals hieß es Garten-Kollonie in Berlin-Weißensee. Das Häuschen hatte eine Grundfläche von ca. 50 Quadratmetern. Die Wände waren 11 cm dick, so dick wie ein halber Ziegelstein. Das Haus hatte der erste Schwiegervater meiner Mutter mit ihrer Hilfe gebaut. Die Steine wurden mit dem Handwagen aus den Trümmern der zerbombten Stadt heran gekarrt. Vorher mussten sie natürlich von Mörtel- und Putzresten befreit werden. Das alles wurde mit der Hand gemacht und passierte neben der "normalen" Arbeit (keine Rede von Work-Life-Balance). In diesem Häuschen gab es 2 Zimmer (Wohnzimmer und Elternschlafzimmer) und eine Kammer die 3m lang und gute 2m breit war. In der Bauzeichnung war diese Kammer für Gartengeräte vorgesehen, das war unser Kinderzimmer. Hier schlief ich mit 2 meiner 3 Brüder. Vor den Eingang dieses Häuschens gab es noch eine geschlossene Veranda aus Holz. Hier schlief der älteste meiner Brüder.
Wir hatten auch noch eine kleine Küche. Es gab aber weder ein Badezimmer noch eine Toilette mit Spülung und auch keine Kanalisation. Das Plumpsklo befand sich in einem Holzschuppen der etwa 8m vom Haus entfernt stand. In diesem Schuppen befand sich neben der Toilette noch eine kleine Werkstatt, unsere Gartengeräte, die Fahrräder und später die Motorräder meiner Brüder. Diese Bretterbude war natürlich ungeheizt. Dadurch wurden die Besuche des stillen Örtchens gerade im Winter zu einem echten Erlebnis.
Meine Eltern waren Stammgäste auf dem Wohnungsamt. Und obwohl sie fleißig ihre Arbeit machten und sich gesellschaftlich engagierten, bekamen wir erst 1970 eine 2 1/2-Zimmerwohnung in der Berliner Allee.
Trotz aller materieller Mängel hatte ich eine glückliche Kindheit. Wir hatten zwar kein Badezimmer, aber einen schönen großen Garten. Mein Opa war gelernter Gärtner und Rentner. Er hatte das "Kommando" in unserem Garten. Wir hatten alles an einheimischen Obstbäumen und -sträuchern (verschiedenste Sorten von Äpfeln, Birnen, Kirschen, Pflaumen, Erd-, Stachel- und Johannisbeeren ...). Auch Kleintiere wie Hühner und Kaninchen hielten wir.
Meine Eltern erzogen uns mit liebevoller Strenge. Sie kannten es nicht anders. Jedoch verschob sich in ihrer Erziehung der Schwerpunkt vom Strengen zum Liebevollen. Sie praktizierten keine Kuschelpädagogik aber auch längst keinen so harten Erziehungsstil wie ihre eigenen Eltern.
Rückblickend glaube ich behaupten zu können, dass sie mich zu einem einigermaßen brauchbaren Mitglied unserer Gesellschaft erzogen haben.
Eine der härtesten Prüfungen für meine Eltern war wahrscheinlich meine Pubertät. Ich war zu einem sportlichen und selbstbewußten jungen Burschen mit zu viel Kraft und (noch) zu wenig Hirn herangewachsen, der keine Lust hatte sich von irgend Jemandem etwas vorschreiben zu lassen. Das führte natürlich in meiner autoritären Umwelt (Ost-Berlin, Mitte der 70er Jahre)und in der Familie zu teilweise heftigen Konflikten. Ich erinnere mich an viele sachliche aber teilweise auch sehr hitzige Diskussionen mit meinen Eltern. Sie schafften es immerhin, mich unbeschadet durch die Schulzeit zu manövrieren. Ich begriff erst viel später, wieviel Mühe sie in dieser Zeit, in mich investiert hatten.
Es hatte fast 20 Jahre gedauert bis ich vollständig begriffen hatte, wie umfassend und bedingungslos die Liebe meiner Eltern war.
Meine Eltern, besonders meine Mutter mußte viele Schicksalsschläge in ihrem Leben ertragen. Nicht nur, dass ihr erster Ehemann verstarb. Sie mußte auch den Verlust zweier ihrer Söhne ertragen. Mein Bruder Stefan starb im Alter von nur 30 Jahren an Herzversagen. Mein Bruder Bernhard wurde 1994 im Alter von 47 Jahren, Opfer eines Psychopaten.
Auch der Verlust meines Vaters war ein schwerer Schlag. Selbst von der Krankheit gezeichnet und auf Hilfe angewiesen, verbrachte meine Mama die letzten Jahre ihres Lebens häufig allein.
Meine Eltern gaben mir viele wichtige Dinge mit.
Beide legten viel Wert auf angemessenes und respektvolles Verhalten. Sie lehrten mich Schwierigkeiten auszuhalten, stolz auf Geleistetes und dankbar für Geschenktes zu sein.
Sie brachte mir bei, Konflikte anzugehen, offen und ehrlich meine Meinung zu sagen, auch wenn sie unbequem ist und mit den Folgen zu leben. Trotz ihrer vergleichsweise geringen Schulbildung, faszinierte mich meine Mutter immer wieder mit ihrer umfassenden Allgemeinbildung.
Mein Vater war der ausdauernde Macher, der nie eine angefangene Sache unerledigt ließ. Er weckte schon früh in mir das Interesse an Technik und brachte mir bei, Probleme mit einfachsten Mitteln zu lösen. Beide hielten immer zu mir und ließen mich nie im Stich.
Das schönste aber war, immer zu spüren wie stolz sie auf ihre Söhne waren.
Ich vermisse die beiden jeden Tag.